Was hätte Hildegard gesagt? „Fasten“
In diesem Jahr fasten wir (fast) alle – zumindest, was unser direktes Miteinander mit Familienmitgliedern, mit Freunden und Weggefährten betrifft, viele schöne Begegnungen und Gespräche und Aktivitäten, auf die wir immer noch weitgehend verzichten sollen/ können/ müssen.
Vielleicht fasten einige von Ihnen auch beim Thema Essen oder Internet oder anderen liebgewonnenen Gewohnheiten.
Auch Hildegard von Bingen wird, wenn es ums Fasten geht, häufig angeführt. Was oft nicht bekannt ist: dass es ihr keinesfalls um vollständige Enthaltsamkeit von Essen ging, schon gar nicht, um damit abzunehmen. Sondern darum, uns auf diesem Weg in unserem Geist zu stärken.
Interessant ist dazu beispielsweise der Blick in Hildegard’s „Buch der Lebensverdienste“ (LVM), in dem sie 35 Paare gegenüberstellt.
Das spricht z.B. der Schlemmer und die Enthaltsamkeit antwortet, ebenso sind:
- Geiz und Genügsamkeit
- Schwermut und Seligkeit
- Wollust und Keuschheit im Dialog.
Einige Aspekte von solchen „Dialogen“, die aktuell besonders passend erscheinen, habe ich im Folgenden als Anregungen zusammengestellt:
Dabei zeigen die Verkörperungen der Lasten, was den Menschen – bewusst oder unbewusst – quält, die Tugenden zeigen die andere Möglichkeit des Handelns und Seins auf. Dabei ist Hildegard’s Schriften immer zu entnehmen, dass Gott diese Welt und den Menschen stets im Guten hält und es keine Dualität gibt – sondern selbst das „Böse“ dem „Guten“ dient.
Gleichzeitig hat jeder Mensch die Einsicht für sein Tun mitbekommen… Hildegard wird nicht müde, immer darauf hinzuweisen. „Wie aber vier Elemente im Menschen sind, so befinden sich auch die Tugendkräfte Gottes im glückseligen Menschen, um ihn zum Guten hin zu lenken.“ (LVM)
So zeigt sie es auch im LVM auf, als die fünfte Gestalt auftritt: Die Worte des Friedens entlarven in diesem Dialog die Falschheit und böse Absicht der Streitsucht – auf die im LVM bezeichnenderweise als nächstes die Schwermut zu Wort kommt…
‚Um einen neuen Streit anzufangen, liegt sie auf der Lauer, ob sie nicht jemanden das Wort im Mund umdrehen kann. Nicht die anderen Menschen behandeln sie „wie Dreck“, sondern sie fällt selbst über die anderen her, um sie zu vernichten.‘ (H. Strickerschmidt, Geerdete Spiritualität)
Doch der Frieden zeigt auf: „Ich aber bin ein Heilmittel für jeden Fall, den du verursachst. Wo du Wunden schlägst, da mache ich sie wieder heil.“ (LVM) Ähnlich spricht auch die Barmherzigkeit zur Herzenshärte: „Mit liebendem Auge berücksichtige ich alle Lebensnöte und fühle mich allem verbunden. Den Gebrochenen helfe ich auf und führe sie zur Gesundung. Eine Salbe bin ich für jeden Schmerz…“ (LVM)
Es bedarf also immer wieder der Achtsamkeit, um unser Denken und Handeln – besonders in herausfordenden Zeiten, in die richtige Richtung zu führen – und gegebenenfalls zu transformieren – beispielsweise durch ein erlösendes Gebet, eine Beichte oder Fasten…
„Wer aber in der Gefangenschaft durch die Streitsucht leidet und einen anderen Weg einschlagen möchte, soll als Buße fasten, vor allem sich fetten Speisen enthalten.“
Dabei geht es Hildegard nicht darum, dem Körper die Nahrung gänzlich zu entziehen.
Im Gegenteil. „Genauso richtet unvernünftige Enthaltsamkeit das Fleisch des Menschen zugrunde, weil ihm nicht die Grünkraft einer rechten Ernährung vergönnt wird. Davon dörrt der Mensch aus“, schreibt sie im Briefwechsel.
Ihr geht es darum, dass der Mensch im Fasten die große Chance hat, „die Geister, die sie dazu verleitet haben, überwinden“ zu können und „ihr Herz wieder zurück(zu)geleiten auf das Himmlische.“ (LVM).
Also darum, dass wir bewusst Ja oder Nein sagen können, wenn unser Körper oder unser Wollen uns ruft.
Und schließlich darum, die Freude – auch in Zeiten wie diesen – wiederzufinden, vielleicht in der Natur, dem schönen Gesang eines Vogels, den zurückkehrenden Kranichen, die vom herannahenden Frühling ebenso künden, wie die ersten zarten Knospen an den Bäumen und die Blumen, die zart ihre Blüten in die Welt strecken.
Diese Freude, die wir oft in stillen Momenten – abseits von Lärm und Ablenkung – erfahren, kann uns Kraft für unseren Alltag, für unser Leben schenken. So schreibt auch H. Strickerschmidt: „Die Heilkraft Freude ist das wichtigste Heilkraut in unserem Lebensgarten.“
Lassen wir uns von dieser Freude und von dieser Grünkraft des Frühlings berühren.